Den medialen Umgang mit dem Mordversuch an Sergej Skripal bringt der Postillon wie so häufig wunderschön auf den Punkt: Britische Polizei findet Putins Ausweis am Tatort. Sicher ist es möglich, dass Renegaten aus russischen Geheimdiensten an der Tat beteiligt waren. Dass Putin den Anschlag persönlich angeordnet haben soll, ist allerdings m.E. nicht „hoch wahrscheinlich“, wie der britische Außenminister Boris Johnson ohne irgendwelche Belege behauptet, sondern im Gegenteil recht schwer vorstellbar. Welchen Grund sollte er haben? Selbst wenn er Skripal hätte töten wollen, was ich nicht glaube, aber wer weiß, warum sollte er es auf diejenige Weise tun, die den maximalen Ärger auslöst? Warum sollte er maximal provozieren wollen? Die unaufhörliche Medienschlacht gegen Russland und Putin in den letzten Jahren hat vielen den Blick darauf verstellt, dass die russische Außenpolitik in erster Linie reaktiv war, nicht offensiv. Man hat nicht offensiv provoziert, sondern auf Provokationen reagiert, das allerdings in konsequenter Weise, und nur im Falle der Krim sehe ich dann auch ein die Gelegenheit nutzendes offensives Element. Widerstand wird im Westen ja seit längerem grundsätzlich als Provokation aufgefasst. Liest man Reden oder sonstige Äußerungen von Putin, sieht man einen sehr kühlen, nüchternen, abwägenden Kopf, der nur nicht so nachgiebig ist, wie wir im Westen dies wünschen würden. Sein Interesse an einer Eskalation kann ich nicht erkennen. Innenpolitisch hat er dergleichen schon gar nicht nötig (anders als beispielsweise Theresa May). Auch als Warnung an Exilrussen, dass sie nirgends sicher seien – ein immerhin denkbares Motiv – schiene der Einsatz dieses Nervengases massiv überdimensioniert; die Botschaft würde auch bei diskreteren Mitteln verstanden.
Eine false flag Operation westlicher Geheimdienste – einschließlich Israels – halte ich auf der anderen Seite auch nicht für wahrscheinlich, jedenfalls nicht mit politischem Segen. Blieben unautorisierte Aktionen irgendwelcher Geheimdienst- oder ex-Geheimdienstkader, zu deren Herkunft und Motiven man beliebig, aber bisher nur ohne Grundlage spekulieren kann. Oder aber Handlungen von Staaten, die ein Interesse an einer Eskalation haben könnten und in jüngster Zeit eine gewisse Rücksichtslosigkeit und Risikofreude an den Tag gelegt haben, wie etwa Saudi Arabien oder die Türkei. Doch auch das ist reine Spekulation.