2. Presseschätzchen des Tages 30.9.2018

Der Guardian ist nicht unbedingt der Ort, an dem man die beste Berichterstattung über in die falsche Richtung kontroverse oder „kontroverse“ Forschung erwarten sollte. Diese Besprechung des Buches von Robert Plomin Blueprint: How DNA Makes Us Who We Are ist jedoch überraschend fair, wenngleich die eigentlichen Erkenntnisgrundlagen der Aussagen etwas kurz kommen.

Presseschätzchen des Tages 30.9.2018

Der Bundesrechnungshof kritisiert das Management der Energiewende in außerordentlich scharfer Weise. Früher, als ich noch jung war, also sehr viel früher, hätte dergleichen zu irgendwelchen Konsequenzen geführt. Heute macht es nicht einmal mehr echte Schlagzeilen. Auf SPON und ZEIT Online findet sich überhaupt nichts dazu, jedenfalls, sofern mich deren Suchfunktion nicht im Stich gelassen hat.

Nachtrag: hier der Link zum Text des Rechnungshofs.

Papst Franziskus und der Missbrauch im SPIEGEL

Das SPIEGEL-Titelblatt dieser Woche zeigt Papst Franziskus und die Worte

DU SOLLST NICHT LÜGEN

Der Papst und die katholische Kirche in der Krise.

Für den Artikel hat eigenständig recherchiert und hatte offenbar Zugang zu sehr hochrangigen, großenteils anonymen Papstkritikern in der katholischen Kirche. Ein anonymer Kardinal wird mit folgenden Worten zitiert: „Ich habe diesem Franziskus von Anfang an kein Wort geglaubt. Der predigt Barmherzigkeit, ist in Wahrheit aber ein eiskalter, gerissener Machiavellist und, was noch schlimmer ist – er lügt.“

Insgesamt ist der Artikel Franziskus gegenüber sehr hart und übergeht auch seine Versäumnisse als Bischof von Buenos Aires nicht; von Schonung wegen ideologischer Sympathie kann keine Rede sein. Er ist auch ein Beispiel für guten investigativen Journalismus, für den es sich lohnt, ab und zu doch wieder die Printausgabe zu kaufen (die ja mittlerweile immerhin EUR 5,10 kostet).

Schwächen zeigt er aus meiner Sicht an zwei miteinander verbundenen zentralen Punkten. Zwar wird der homosexuelle Aspekt der Missbrauchsskandale erwähnt, aber nicht weiterverfolgt, obwohl es sich eben nur zum Teil, vielleicht sogar nur zum geringeren Teil um Pädophilie im eigentlichen Sinne handelte und wohl überall überwiegend Jungen die Opfer waren. Dieser Umstand ist heute politisch heikel, kann aber natürlich nicht übergangen werden, wenn man über eine nachhaltige Strategie für die Bekämpfung des Missbrauchs nachdenkt.

Ebenso kommt die Erforschung der Ursachen für den nachlässigen Umgang der Kirche mit dem Thema ein wenig kurz.

Die Vermutung liegt nahe, dass Festhalten an umstrittenen Geistlichen auf eine Mischung aus Wurstigkeit und falsch verstandenem Korpsgeist zurückgeht.“ Nun ja, vermutlich in guten Teilen, aber können das die einzigen Gründe sein? Dass eine Organisation Missstände gern verschweigt und vertuscht, ist leicht vorstellbar, schließlich hat man einen Ruf zu verlieren und eine Fassade zu bewahren und im Übrigen Schadenersatzklagen abzuwehren. Dass man aber Priester, die des schweren Missbrauchs in großem Umfang bezichtigt wurden, weltweit so oft einfach weitermachen ließ oder ohne sonstige Konsequenzen in eine andere Gemeinde versetzte, wo sie ihr Werk dann einfach fortführten, ist für mich mit „Wurstigkeit“ und „Korpsgeist“ nicht mehr ohne Weiteres erklärbar. Es müssen schon ganz erhebliche Gleichgültigkeit, Solidarität unter Tätern bzw. mindestens speziell Gleichgesinnten oder schlicht Machtlosigkeit der Zuständigen dazukommen. Hier wäre tiefer zu bohren.

Auch eine weitere Frage hätte mich interessiert. U.a. wird geschrieben „USA – 19.000 Opfer sexuellen Missbrauchs haben für den Zeitraum von 1950 bis 2016 Vorwürfe gegen 6.800 Kleriker erhoben. Die Zahl aller Betroffenen wird auf 100.000 geschätzt.“ Wie viele mehr sind das eigentlich, als bei einem normalen Anteil einschlägig geneigter Leute an der katholischen Priesterschaft statistisch zu erwarten gewesen wären?

Anmerken muss ich, dass mein Satz aus meinem Beitrag vom 2.9.2018

„die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche in den USA stellen seit Jahrzehnten alles in den Schatten, was wir aus Deutschland kennen“

die deutsche Situation ein wenig unterschätzt hat.

Zur gestrigen Maischberger-Sendung zum Thema Missbrauch in der (deutschen) katholischen Kirche schreibt sich der sonst nüchterne Alexander Wallasch auf Tichyseinblick in lesenswerter Weise seine offenbar ganz erhebliche Wut auf diese Kirche vom Leib.

Ceterum censeo, der Zölibat ist schädlich und die Ablehnung der Homosexualität durch die katholische Kirche ebenso. Wer’s noch nicht kennt: zur bibelkundlichen Seite der Homosexuellenfrage war ja schon vor etlichen Jahren mit dem berühmten „Dear Laura“-Brief alles gesagt, auch wenn er sich an eine orthodoxe Jüdin und nicht an eine Christin richtete:

Today
was the first day for Dr. Laura Schlessinger and her „no-nonsense“
advice on satellite radio. In her radio show, Dr. Laura has said that,
as an observant Orthodox Jew, homosexuality is an abomination according
to Leviticus 18:22, and cannot be condoned under any circumstance. An
enquiry into other Bibilical admonitions raises some key questions. The
following response is an open letter to Dr. Laura from James M.
Kauffman, Professor Emeritus at the University of Virginia.  

Dear Dr. Laura:

  Thank you for doing so much to educate people regarding God’s Law. I have learned a great deal from your show, and try to share that knowledge   with as many people as I can. When someone tries to defend the homosexual   lifestyle, for example, I simply remind them that Leviticus 18:22 clearly states it to be an abomination.  End of debate.

  I do need some advice from you, however, regarding some other elements of God’s Laws and how to follow them.

  1. Leviticus 25:44 states that I may possess slaves, both male and female,   provided they are from neighboring nations.  A friend of mine claims that this applies to Mexicans, but not Canadians.  Can you clarify? Why can’t I own Canadians?

  2. I would like to sell my daughter into slavery, as sanctioned in Exodus 21:7.  In this day and age, what do you think would be a fair price for her?

  3. I know that I am allowed no contact with a woman while she is in her period of Menstrual „uncleanliness“ – Lev.15: 19-24. The problem is how do I tell?  I have tried asking, but most women take offense.

  4. When I burn a bull on the altar as a sacrifice, I know it creates a pleasing odor for the Lord – Lev.1:9.  The problem is my neighbors. They claim the odor is not pleasing to them.  Should I smite them?

  5. I have a neighbor who insists on working on the Sabbath.  Exodus 35:2 clearly states he should be put to death. Am I morally obligated to kill him myself, or should I ask the police to do it?

  6. A friend of mine feels that even though eating shellfish is an abomination, Lev. 11:10, it is a lesser abomination than homosexuality.  I don’t agree. Can you settle this? Are there degrees of  abomination?

  7. Lev. 21:20 states that I may not approach the altar of God if I have a defect in my sight.  I have to admit that I wear reading glasses.  Does my vision have to be 20/20, or is there some wiggle-room here?

  8. Most of my male friends get their hair trimmed, including the hair around their temples, even though this is expressly forbidden by Lev. 19:27. How should they die?

  9. I know from Lev. 11:6-8 that touching the skin of a dead pig makes me unclean, but may I still play football if I wear gloves?

  10. My uncle has a farm. He violates Lev.19:19 by planting two different crops in the same field, as does his wife by wearing garments made of two   different kinds of thread (cotton/polyester blend).  He also tends to curse and blaspheme a lot. Is it really necessary that we go to all the trouble of getting the whole town together to stone them?  Lev.24:10-16. Couldn’t we just burn them to death at a private family affair, like we do with people who sleep with their in-laws? (Lev. 20:14) I know you have studied these things extensively and thus enjoy considerable expertise in such matters, so I’m confident you can help. Thank you again for reminding us that God’s word is   eternal and unchanging.

  Your adoring fan.

  James M. Kauffman, Ed.D. Professor Emeritus, Dept. Of Curriculum, Instruction, and Special Education, University of Virginia.

PS (It would be a damn shame if we couldn’t own a Canadian)

 

 

 

 

 

 

Das Ende der Ära Merkel, nun wirklich

Das Machtsystem Merkels ist an einem Umschlagpunkt (tipping point) angelangt, an dem der Machtverlust kaum noch aufzuhalten scheint und alles sehr schnell gehen kann. Irgendwann genügen auch Aspekte wie eine angebliche Alternativlosigkeit oder die Angst vor Neuwahlen nicht mehr. Entscheidend ist dabei nicht unbedingt die offenkundige Verantwortungslosigkeit und Lächerlichkeit, mit der in der Chemnitz-Affäre und der Causa Maaßen agiert wurde (hier dazu ein Kommentar in der Schweizer Weltwoche mit einigen interessanten Tönen aus dem Hintergrund), sondern die mittlerweile unausweichliche Erkenntnis, dass von dieser Regierung nichts Konstruktives mehr zu erwarten ist. Ein ausführlicher Kommentar in der Wirtschaftswoche ist unverblümt betitelt: Aufhören. Neuwahlen. Jetzt. Der Schlüsselsatz daraus:

Heute weiß man: Deutschland kann auf Merkels Gaben, Talente und Dienste verzichten. Die Kanzlerin hat dem Land nichts mehr zu geben.

Das ist das Entscheidende, ganz unabhängig davon, wie man das, was Merkel dem Land bisher „gegeben“ hat, wertet: da kommt nichts mehr. Und letztlich spürt es jeder.

Jakob Augsteins Ansichten und Äußerungen sind zwar nicht maßgebend, aber doch ein Indiz für die Stimmung in bestimmten Kreisen.

 

Das einzig Spannende wird sein, wie schnell es geht. Ich gebe ihr bis etwa Jahresende. An Neuwahlen glaube ich dabei eigentlich nicht; davor haben alle zu viel Angst. Vermutlich wird es doch Jamaika. Ich wünsche mir tatsächlich, dass die SPD sich in der Opposition erneuert und nicht nur ihr programmatisches, sondern auch ihr Personalproblem löst. Dieses Problem besteht nicht in erster Linie in einzelnen Personen, sondern darin, dass man aufgrund welcher Umstände und Strukturen auch immer auf dem Weg zu Spitzenpositionen ganz offenkundig eine systematische Negativauslese betreibt. Oder sollte ich ernsthaft glauben, Figuren wie Nahles, Schulz, Maas, Stegner und Schwesig (Olaf Scholz mal ausgeklammert) stellten das Beste dar, das die Partei zu bieten hat? Nu enwelle got!

Horst Seehofer ist natürlich eine Schlüsselfigur im Niedergang Merkels. Er provoziert, doch letztlich vor allem dadurch, dass er das geräuschlose Abrollen auf dem Weg in die falsche Richtung behindert. Da ist Provokation ein Kinderspiel.

 

Karikaturen als bildgewordene Banalität oder die Tragödie des Klaus Stuttmann

Eigentlich ist nicht Klaus Stuttmann die Tragödie, sondern der Niveauverlust großer Teile der deutschen Presse, der sich darin abbildet, dass seine politischen Cartoons in so vielen Zeitungen veröffentlicht werden. Aus Wikipedia:

Stuttmann wuchs in der Umgebung von Stuttgart auf, studierte Kunstgeschichte zuerst in Tübingen und seit 1970 in Berlin, wo er 1976 den Magister-Titel in Geschichte und Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin erwarb. Seitdem ist er autodidaktisch als freiberuflicher Karikaturist tätig.

Seine Karikaturen wurden zunächst und bis 1989 überwiegend in der Tageszeitung der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins Die Wahrheit veröffentlicht.*

Aktuell erscheinen seine Karikaturen fast täglich im Tagesspiegel, regelmäßig im Weser-Kurier, in der Leipziger VolkszeitungTAZ, der Badischen Zeitung, im FreitagEulenspiegel, in der Sächsischen Zeitung, im Göttinger Tageblatt, in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Rhein-Neckar-Zeitung.

Dazu erscheinen sie auf SPON in den Cartoons der Woche. Man kann ihnen schwer ausweichen und somit denke ich, im Laufe der Jahrzehnte doch einen recht umfassenden Einblick in den Output des Herrn Stuttmann gewonnen zu haben. Mir ist dabei nicht ein einziger – nicht ein einziger! – Cartoon aufgefallen, der entweder gedanklich oder in der bildlichen Umsetzung originell oder witzig war. Unoriginelle, oft einfach banale, linke Mainstreamkommentare, unoriginell und oft einfach banal umgesetzt. Man vergleiche das mit Horst Haitzinger (falls nicht bekannt, Google-Bildersuche), der, wenn seine Gedanken auch nicht immer überraschend sein können, sie mindestens bildlich originell und mit Witz umzusetzen weiß.

Nun kann man von jemandem, der mehr oder weniger täglich etwas abliefern muss, nicht immer Geist erwarten; das wäre unrealistisch. Aber wenigstens doch bitte gelegentlich.

Auch die aktuellen Cartoons der Woche bei SPON enthalten absolut nichts von Wert, weder von Stuttmann noch von Thomas Plaßmann, den man eigentlich mit den gleichen Worten beschreiben kann.

Ist dergleichen unserer Presse gut genug oder reicht es ihnen, dass die eigene Haltung wiedergegeben wird, wie auch immer? Oder tue ich ihr Unrecht und es gibt einfach keine Besseren?

Oder tue ich sogar Klaus Stuttmann Unrecht und seine echten Geistesblitze sind mir zufällig immer entgangen? Bin für Hinweise dankbar, die Kommentarfunktion ist dafür ausnahmsweise aktiviert.

*Die Sozialistische Einheitspartei Westberlins war, wie unschwer zu erraten, der West-Berliner Ableger der SED und ihr Organ „Die Wahrheit“ ein ziemlich stumpfes Propagandablättchen, das einem an vielen Kiosken entgegengrummelte und das ich aus purer Neugier auch ein paarmal gelesen habe.

 

 

2. Schätzchen des Tages 23.9.2018

Angesichts der Schwemme hervorragender junger Geiger und Pianisten in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten müsste man ziemlich viel Zeit investieren, um sinnvoll auf dem Laufenden zu bleiben. Da ich das nicht tue, entgeht mir bestimmt sehr viel. Bisher hat mich hinsichtlich Sauberkeit und Präzision besonders Hilary Hahn beeindruckt, vielleicht aus Unkenntnis eines Teils des Nachwuchses, nun aber ist jedenfalls SooBeen Lee dazugestoßen, die schon als Zwölfjährige in jeden Vorbehalt souverän niederwalzender Weise so mit Wieniawski daherkam:

Mit 17 klang sie dann so mit dem Sibelius-Violinkonzert:

Das Orchester ist das New England Conservatory Orchestra. Auffällig ist die ethnische Zusammensetzung der verschiedenen Gruppen im Orchester 🙂

Was die jungen Talente angeht, ist der Spruch

Roses are red, violets are blue, there’s always an Asian who is better than you

ja mittlerweile eine Binsenweisheit. Das gilt für Asiaten aber natürlich genauso wie für Europäer und ist für Erstere noch deutlich deprimierender, vermute ich, schließlich können die nicht sagen „naja, Asiaten halt“. Diese beiden jedenfalls nicht hochbegabten jungen Geiger leiden sichtlich unter der Dame:

 

 

 

 

Schätzchen des Tages 23.9.2018

Für mich einer der besten Klassik-Kanäle auf Youtube ist der von Ashish Xiangyi Kumar. (Ich hielt den Namen für ein Pseudonym, aber googelt man den Namen, findet man tatsächlich einen offenbar hochbegabten jungen Mann dieses Namens, in Singapur als Sohn eines ethnischen Inders und einer ethnischen Chinesin geboren). Dort werden bedeutende Klavierstücke vorgestellt, häufig gespielt von zwei Interpreten hintereinander, und analysiert, gelegentlich recht ausführlich. Zudem werden die Noten gezeigt. Egal, ob man die Analysen versteht oder welchen eigentlichen Erkenntniswert sie für einen besitzen, sie schärfen das Ohr und fördern das Zuhören. 

Das heutige Schätzchen sind die Gesänge der Frühe von Robert Schumann, hier gespielt erst von Mitsuko Ochida und dann von Andras Schiff. Schumann ist ein Komponist, den ich noch nicht ganz verdaut habe. Irgendwo auf Youtube schrieb ein Kommentator, wann immer er Schumann höre, bedaure er, dass nicht stattdessen Chopin gespielt werde. Man hat ihm dafür den Kopf gewaschen, doch ich verstehe ungefähr, was damit gemeint ist. Allerdings scheint mir Schumann manchmal Tiefen zu berühren, die ich bei Chopin nicht finde. Ist das Quatsch? Weiß noch nicht.