Ist Trumps Einladung an Kim eine Botschaft an den Iran?

Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung in dem idiotischen Spiel. Ich vermute, dass Kim und Nordkorea Trump eigentlich gar nicht so wichtig sind. Stattdessen vermute bzw., zugegebenermaßen, hoffe ich, dass Trumps Einladung an Kim in das Weiße Haus eine Botschaft an den Iran ist: seht, redet mit mir und überraschende Dinge werden möglich sein. Die Iraner haben allen Grund, Trump zu misstrauen, wären aber m.E. gut beraten, den Faden aufzunehmen und in irgendeiner Form Gesprächsbereitschaft auf höchster Ebene zu signalisieren. Die Situation ist festgefahren, was zweifellos Trumps Schuld ist, aber ein Treffen gäbe ihm die Möglichkeit, sein dummes Geschwätz von gestern zu ignorieren, selbst wenn in der Substanz nicht viel passiert. Ich bin gespannt, ob man in den nächsten Tagen etwas hören wird.

Claudia Roth spuckt auf die Geschäftsordnung

Vorbemerkung 28.6. Abends: Ich fand das hier beschriebene Verhalten von Frau Roth so unverschämt, dass ich in der ersten Fassung der Überschrift mit „Claudia Roth und die Verachtung der Demokratie“ Worte gewählt habe, die dann doch übertrieben waren.

 

Die WeLT berichtet über die nächtliche Sitzung des Bundestages von gestern auf heute (28.6.2019). Es waren noch rund 100 Abgeordnete anwesend, was durch die Videoeinstellung auf die Sitzreihen dokumentiert ist.

Nach § 45 der Geschäftsordnung des Bundestages ist Beschlussfähigkeit nur dann gegeben, wenn die Mehrheit der Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Die AfD-Fraktion hat die Beschlussfähigkeit angezweifelt. Der Sitzungsvorstand unter der leitenden Vizepräsidentin Claudia Roth hat nach Aussage letzterer aber einmütig behauptet, diese sei gegeben. Man nehme den langen Werbespot vorher in Kauf und schaue sich auch das Video an; schon die dusselige Pampigkeit von Frau Roth ist sehenswert.

Eine unglaubliche Frechheit. Ich hätte auch noch härtere Worte dafür. Die von der Geschäftsordnung vorgegebene Rechtslage ist vollkommen eindeutig:

§ 45 Feststellung der Beschlußfähigkeit, Folgen der Beschlußunfähigkeit

(1)   Der Bundestag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.

(2)   Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschlußfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht oder wird die Beschlußfähigkeit vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit den Fraktionen bezweifelt, so ist in Verbindung mit der Abstimmung die Beschlußfähigkeit durch Zählung der Stimmen nach § 51, im Laufe einer Kernzeit-Debatte im Verfahren nach § 52 festzustellen. Der Präsident kann die Abstimmung auf kurze Zeit aussetzen.

(3 + 4 nicht einschlägig)

„Ist gegeben“ ist hier natürlich als notwendige Bedingung (nur dann, im Unterschied zu einer hinreichenden Bedingung, jedenfalls immer dann) zu verstehen, d.h. wenn nicht mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist, ist sie eben nicht gegeben.

Ich kann der Geschäftsordnung keine weiteren Regelungen entnehmen, nach denen Beschlussfähigkeit ausnahmsweise vorliegen kann, auch wenn die Bedingung aus § 45 Abs. 1 GO-BT nicht erfüllt sein sollte.

§ 45 Abs. 2 GO-BT regelt Verfahrensfragen, bietet m.E. aber keine Grundlage für eine willkürliche Entscheidung des Sitzungsvorstands unter Außerachtlassung des Absatzes 1. Die einmütige Bejahung der Beschlussfähigkeit durch den Sitzungsvorstand war offenkundig und zweifelsfrei sachlich falsch, dies muss dem Vorstand bekannt gewesen sein und die Bejahung muss daher auch rechtswidrig sein. Es kann auch nicht sein, dass die offenkundige Sachlage aufgrund dieser Bejahung keine Rolle mehr spielt.

(Theoretisch gibt es noch zwei weitere Paragraphen in der GO-BT, die in ähnlichen Fällen in der Praxis relevant werden könnten:

§ 126 Abweichungen von dieser Geschäftsordnung

Abweichungen von den Vorschriften dieser Geschäftsordnung können im einzelnen Fall mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages beschlossen werden, wenn die Bestimmungen des Grundgesetzes dem nicht entgegenstehen.

Fraglich ist, ob ein Beschluss über Abweichungen von der Geschäftsordnung sich überhaupt auf die Beschlussfähigkeit selbst beziehen kann, das kann hier allerdings auch offen bleiben, da ein solcher Beschluss ja nicht herbeigeführt wurde.

§ 127 Auslegung dieser Geschäftsordnung

(1)   Während einer Sitzung des Bundestages auftretende Zweifel über die Auslegung dieser Geschäftsordnung entscheidet der Präsident für den Einzelfall.

Ein Zweifel über die Auslegung der Geschäftsordnung kann eigentlich nicht bestanden haben. Diese ist im relevanten Punkt glasklar. Im Übrigen würde man erwarten, dass eine Auslegungsfrage auch als solche, d.h. als Rechtsfrage thematisiert wird. Das ist nicht erfolgt. Die Beschlussfähigkeit wurde vom Sitzungsvorstand ohne Begründung behauptet.)

Die GO-BT ist nicht einfach ein beliebiges Gentlemen’s Agreement. Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt ausdrücklich vor, dass der Bundestag sich eine Geschäftsordnung zu geben habe. Eine Geschäftsordnung muss die Beschlussfähigkeit regeln, sofern diese nicht bereits anderweitig adressiert ist (was hier nicht der Fall ist), und das Fehlen der Beschlussfähigkeit muss Konsequenzen haben.

Man sollte erwarten, dass Beschlüsse bei nicht gegebener Beschlussfähigkeit nichtig  sind.

Es gibt einen halben Präzedenzfall, in dem das BVerfG die Wirksamkeit eines Gesetzes bejaht hat (BVerfGE 44, 308), zu dem u.a. geltend gemacht wurde, es sei nicht unter Anwesenheit mindestens der Hälfte der Abgeordneten zustande gekommen.

Das BVerfG hat in dem Urteil zwar entschieden, dass es für das verfassungsmäßige Zustandekommen eines Gesetzes (unbeschadet der Geschäftsordnung) grundsätzlich nicht zwingend erforderlich ist, dass tatsächlich mindestens die Hälfte der Abgeordneten bei der Abstimmung anwesend ist. Ebenso sei dies für die Beschlussfähigkeit im Sinne der Geschäftsordnung nicht zwingend erforderlich, schließlich ginge der Abstimmung  die eigentliche parlamentarische Arbeit in den Ausschüssen etc. voraus und es sei davon auszugehen, dass jeder Abgeordnete die Gelegenheit habe, an der Willensbildung mitzuwirken. Dieses Verständnis gilt nach meiner Lesart der Urteilsbegründung aber eben für den Fall, dass die Beschlussfähigkeit im Verfahren nicht bestritten worden ist, man sich diesbezüglich also einig war.

Wie das BVerG den vorliegenden Fall beurteilen würde, weiß ich nicht. Geht man von Nichtigkeit der Beschlussfassung aus, ist zu fragen, wie diese geltend gemacht werden kann. Aber hier verlasse ich dann für mich überschaubare Rechtsbereiche und betrete immer schwankenderen Boden.

Vielleicht geht das noch im parlamentarischen Verfahren über einen Einspruch gegen das Amtliche Protokoll gem. § 120 f. GO-BT:

§ 120 Beurkundung der Beschlüsse

Außer dem Plenarprotokoll wird über jede Sitzung ein Beschlußprotokoll (Amtliches Protokoll) gefertigt, das vom Präsidenten unterzeichnet wird. Das Amtliche Protokoll wird an die Mitglieder des Bundestages verteilt und gilt als genehmigt, wenn bis zu dem auf die Verteilung folgenden Sitzungstag kein Einspruch erhoben wird.

§ 121 Einspruch gegen das Amtliche Protokoll

Wird gegen das Amtliche Protokoll Einspruch erhoben und dieser nicht durch die Erklärung der Schriftführer erledigt, so befragt der Präsident den Bundestag. Wird der Einspruch für begründet erachtet, so ist die neue Fassung der beanstandeten Stelle dem nächsten Amtlichen Protokoll beizufügen.

Ich weiß aber nicht, ob ein Einspruch gegen das Protokoll sich evtl. nur gegen eine unzutreffende Wiedergabe des Geschehens richten kann. Ich würde das vermuten. Das Protokoll wird die Äußerungen der handelnden Personen sicherlich getreulich abbilden.

Vielleicht geht es über die Geltendmachung der Nichtigkeit der Gesetze beim Verfassungsgericht über die dafür gegebenen Wege. Juristenmangel herrscht auch in der AfD-Fraktion nicht und das letzte Wort in der Angelegenheit ist noch nicht gesprochen.

Ich bin in prozessualen Fragen kein Pedant, wenn unter zivilisierten Menschen stillschweigendes Einverständnis über sinnvolle Gepflogenheiten herrscht. Hier aber war dieses Einverständnis eben nicht gegeben, ob einem die AfD nun zusagt oder nicht, und Claudia Roth sowie der Rest des Sitzungsvorstands haben in unverschämter, undemokratischer Weise ihre Macht missbraucht. Ich hätte keine Einwände, wenn das Erfordernis der mindestens hälftigen Anwesenheit in der GO-BT nach unten angepasst würde; die Rechtfertigung dafür hat letztlich das BVerG im oben zitierten Urteil schon selbst geliefert. Das wäre dann aber in einem ordentlichen Verfahren zu beschließen.

Die saubere Handhabung solcher Verfahrensfragen ist ein Kernelement einer gut funktionierenden Demokratie. Hier kommt zur Missachtung der Geschäftsordnung noch der Umstand, dass man der AfD entgegen § 2 Abs. 1 S. 2 GO-BT immer noch keinen eigenen Vizepräsidenten des Bundestages zugestanden hat, sie somit von der Mitwirkung in wichtigen Verfahrensfragen von vornherein ausschließt. Wenn man das so tut, müsste man sich doch gehalten sehen, im Verfahren ganz besondere Umsicht walten zu lassen.

Nachtrag:

Der verlinkte Artikel der WeLt war zum betreffenden Zeitpunkt mit AfD scheitert mit Antrag auf Hammelsprung überschrieben. Unter der Überschrift gibt es weiterhin einen Beitrag, allerdings enthält dieser nur das Video und einen dürren Hinweis darauf. Aktuell ist der verlinkte Beitrag mit Deshalb durfte Claudia Roth der AfD den Hammelsprung verweigern betitelt, wobei der angebliche Grund gar nicht diskutiert wird.

Zweitens: Natürlich war der Antrag der AfD in erster Linie eine Stänkerei, die im Erfolgsfalle nur dazu geführt hätte, dass die Beschlussfassung wiederholt würde, mit letztlich gleichem Ergebnis, aber zusätzlichem Aufwand. Die Demokratie hätte damit allein nichts gewonnen. Bundestagsabgeordneten muss man das Leben nicht unnötig schwer machen. Was offene Rechtsverstöße aber nicht rechtfertigt.

Ebenso natürlich kann man auf der anderen Seite auch die AfD verstehen, die von den anderen Parteien in der Frage des ihr zustehenden Vizepräsidenten des Bundestages verhöhnt wird. Das befördert die Lust an der Stänkerei.

Zeit, dass da Ruhe einkehrt. Wird aber wohl nicht.

Drittens:

Mittlerweile haben sich weitere Gremien des Bundestages mit dem Vorfall befasst. Der nordkurier schreibt:

„Das Präsidium des Bundestages ist einhellig der Auffassung, dass der Sitzungsvorstand die Vorschriften der Geschäftsordnung über die Feststellung der Beschlussfähigkeit korrekt angewendet hat“, erklärte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Er berichtete weiter, auch der Ältestenrat habe sich auf Antrag der AfD-Fraktion mit der Entscheidung des Sitzungsvorstands befasst.

Zum Meinungsbild im weit größeren Ältestengremium wurden keine Angaben gemacht. Im Präsidium sitzen Schäuble und seine fünf Stellvertreter aus allen Fraktionen außer der AfD, die bisher keinen Vizepräsidenten hat; im 30-köpfigen Ältestenrat ist auch die AfD vertreten.

Sofern in der Formulierung von Schäuble keine Wortwieselei steckt, bedeutet dies im Ergebnis das Folgende: Der Sitzungsvorstand kann nach dieser Auffassung die Beschlussfähigkeit nach eigenem Ermessen bejahen, auch wenn die Voraussetzung des § 45 Abs. 1 GO-BT offenkundig nicht gegeben ist, sich über diese klare Vorschrift also hinwegsetzen. Fraglich wäre dann nur, welche Grundsätze für dieses Ermessen gelten. Soll es solche überhaupt geben oder darf das vollkommen willkürlich geschehen? Denkbare Bedingungen wären:

  • Es ist sicher davon auszugehen, dass das Abstimmungsergebnis im Falle einer mindestens hälftigen Anwesenheit kein anderes wäreund
  • Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die geringe Anwesenheit das Ergebnis manipulativer Maßnahmen ist.und evtl.
  • Die vorgesehene Beschlussfassung hatte einen ausreichenden Vorlauf auch im Plenum, wurde etwa bei mehr als hälftiger Anwesenheit diskutiert

Sind etwa diese drei Bedingungen erfüllt (was sie in der fraglichen Sitzung des Bundestags vermutlich auch waren), wäre im Sinne einer effizienten Parlamentsarbeit ein Verzicht auf das Erfordernis des § 45 Abs. 1 GO-BT sachlich durchaus sinnvoll. Allerdings hätte der Bundestag dergleichen ja auch in der einen oder anderen Weise in der Geschäftsordnung regeln können. Das hat er aber nicht: § 45 Abs. 2 GO-BT kann m.E. nicht so gelesen werden, dass dem Sitzungsvorstand ein solcher Ermessensspielraum zugebilligt werden soll; das in der Entscheidung des Sitzungsvorstands unvermeidlich enthaltene Ermessen kann sich nur auf die sachliche Frage beziehen, ob denn tatsächlich mindestens die Hälfte der MdBs anwesend sind und ob etwaige Unklarheiten tatsächlich einen Hammelsprung erfordern. Des Weiteren besteht hinsichtlich der Billigkeit einer solchen Ermessensentscheidung ja kein eigener Rechtsweg; es bliebe (sofern der Bundespräsident die Unterzeichnung nicht verweigert) nur der Weg über das BVerfG, was schon aufgrund der üblichen Verfahrensdauern keine angemessene Lösung ist. Damit würde aber dem Sitzungsvorstand letztlich eine Machtposition zugestanden, die ihm nicht zukommt. Man stelle sich die Manipulationsmöglichkeiten vor, die sich aus einer solchen Machtposition ergeben.

Zum Sitzungsvorstand regelt die GO-BT übrigens Folgendes:

§ 8 Sitzungsvorstand
(1) In den Sitzungen des Bundestages bilden der amtierende Präsident und zwei Schriftführer den Sitzungsvorstand.
(2) Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit seinen Stellvertretern die Reihenfolge der Vertretung. Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt
der Alterspräsident die Leitung.
(3) Stehen die gewählten Schriftführer für eine Sitzung des Bundestages nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung, so bestellt der amtierende Präsident andere Mitglieder des Bundestages als Stellvertreter.

Im bisherigen parlamentarischen Normalfall ist die Bestimmung des Sitzungsvorstands unkritisch, bei der erforderlichen Entschlossenheit der Handelnden, insbesondere des Präsidenten, aber durchaus manipulierbar. Zudem geht die Geschäftsordnung ja davon aus, dass tatsächlich auch jede Fraktion über einen Vizepräsidenten verfügt, was der AfD verweigert wird (ebenso wie die Alterspräsidentschaft, für die man ja die Regeln ad hoc mit durchaus beeindruckender Entschlossenheit geändert hat).

Ich bin auf die weiteren Entwicklungen in dieser Rechtsfrage sehr gespannt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Manifest der Lächerlichkeit oder die Schlusspredigt auf dem evangelischen Kirchentag

Vorbemerkung: einige Minuten nach Veröffentlichung hatte ich den Beitrag noch einmal knapp überarbeitet; zwischenzeitlich ist er tatsächlich schon aufgerufen worden. Die aktuelle Fassung ist maßgebend.

 

Im Schnipsel des Tages vom 12.5.2018 hatte ich den Besuch eines evangelischen Gottesdienstes anlässlich einer Konfirmation kommentiert, u.a. mit den folgenden Worten:

„Das Ganze hatte eine solche Ausstrahlung von Schwäche, von Kraftlosigkeit, dass man Erbarmen fühlen mochte. Wenn Glaube Kraft gibt, dann kann hier nicht viel Glaube dringesteckt haben. Zukunft kann das nicht haben.

Bemerkenswert wäre diese einzelne kleine Beobachtung nicht, wenn sie nicht haargenau in das Bild passte, das einen seit Jahren geradezu anspringt. Diese Kirche hat vollkommen vergessen, dass man nur dem folgt, der Kraft ausstrahlt. Der mehr bietet als die sorgsam abgewogene respektable Meinung, die für den aufgeklärten Zeitgeist noch verdaulich zubereitete, bereinigte und polierte biblische Botschaft. Dominanz ist nicht erforderlich, aber Kraft.“

Nun hat die Pfarrerin Sandra Bils auf dem evangelischen Kirchentag eine Schlusspredigt gehalten, die in ihrer Jämmerlichkeit, Dummheit und Anmaßung dringend nahelegt, den Laden doch bitte einfach dichtzumachen.

Zur Jämmerlichkeit: man lese die Predigt einfach selbst. Wer außer schwachen, sentimentalen Menschen würde sich von ihren Aussagen zur Situation der Kirche und des Glaubens angezogen fühlen? Wem ist sie hier Vorbild, Anführerin, Inspiration? Ihr Aufruf zu Vertrauen und zum Glauben an „Gottes geliebte Gurkentruppe“ ist der Aufruf eines schwachen, zweifelnden Menschen, der sich selbst mit Mühe und Not überzeugen muss, überhaupt weiterzumachen. Der im billigsten Zeitgeist die Nahrung für sein Gutseinwollen sucht. Einige wenige Leute wird das ansprechen, genau die Sorte, die Kraft bräuchte und Trost sucht, aber mit denen letztlich nichts aufgebaut und wenig erhalten werden kann. Geteiltes Leid mit anderen Schwachen werden sie bei ihr vielleicht finden, Kraft – die für sie wohl wichtiger wäre als Trost – aber nicht, denn das Ganze ist saft- und kraftlos.

Ich ginge viel lieber zum Freitagsgottesdienst in eine Moschee, als mir solches Zeug anzuhören.

Zu Anmaßung und Dummheit:

Wir sehen wo Gott in der Welt wirkt – durch die Leute von Sea-Watch, SOS Méditerranée und Sea-Eye, durch Greta Thunberg und die Schülerinnen und Schüler, durch so viele andere – und dabei machen wir mit.

Aha. Es geht hier ja nicht darum, dass Gott in allen Menschen und all ihrem Tun wirke, sondern dass das Handeln von Sea-Watch etc. speziell göttlichen Willen verkörpern würde. Es ist nicht nur billige Politik, sondern eine geradezu ketzerische Anmaßung, den Willen Gottes in solch komplexen Themen kennen zu wollen, und das eben nicht nur als Privatmeinung (was jedem unbenommen ist), sondern mit theologischer Autorität gepredigt. Zudem lässt diese Anmaßung gar keinen Raum mehr für die politisch-diskursive Auseinandersetzung. Wer anderer Ansicht ist, ist bestenfalls verblendet, vielleicht aber auch einfach böse.

Gleichzeitig ist sie dumm, denn sie verkennt, dass die Toten im Mittelmeer zum guten Teil eben das Resultat des Tuns von Sea-Watch etc. sind, den letzten Gliedern der Schlepperkette, ohne die viele Menschen in ihren Schlauchbooten, die für wenige Seemeilen ausgelegt und ausgerüstet sind, es gar nicht erst versuchen würden. „Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“ predigt die Dame, verkennt aber, dass Predigten wie die ihre zur Situation überhaupt erst beitragen. Um zu verhindern, dass Migranten im Mittelmeer ertrinken, gibt es zwei Möglichkeiten:

Entweder, man gibt wirklich allen, die kommen wollen, ein Ticket und lässt sie ungehindert einreisen. Dann kommen 10 Millionen im Jahr und schon recht bald ist Europa kaputt.

Oder man setzt ganz konsequent durch, dass niemand, der es tatsächlich nach Europa schafft, auch bleiben kann, wie die Australier es tun, so dass es keiner erst versucht.

Das sind die praktischen Möglichkeiten. Dazwischen gibt es die Toten.

(Theoretisch denkbar wäre auch, die südliche Mittelmeerküste so vollständig kontrollieren zu lassen, dass es kein Migrant mehr aufs Boot schafft. Das ist aber nicht machbar. Noch weniger machbar ist es, die „Fluchtursachen“ so erfolgreich zu bekämpfen, dass keiner mehr kommen will. Und gegen die letzte denkbare Möglichkeit, den Aufenthalt als Migrant in Europa so unattraktiv zu gestalten, dass alle potentiellen Migranten lieber zuhause bleiben, wird Frau Bils‘ Gefallen sicherlich nicht finden.)

Aber selbst diese einfachen Überlegungen sind ja schon zu analytisch, zu viel Nachdenken, nicht sentimental genug für Frau Bils und ihresgleichen.

Die Erwähnung von Greta Thunberg als Werkzeug des Willens Gottes wiederum ist ein weiterer Schritt dazu, das komplexe Problem des Klimawandels und der angemessenen betreffenden Maßnahmen auf das übliche kindische Niveau zu reduzieren.

Als x-beliebige Sonntagspredigt in der Dorfkirche wäre das Ganze verzeihlich. Als Schlusspredigt auf dem Kirchentag ist es lächerlich.

Doch Menschen wie Frau Bils stellen nach meinem Eindruck mittlerweile einfach die personelle Substanz der evangelischen Kirche dar. Daher sehe ich nicht, welche Zukunft diese Kirche, die einmal die meine war, noch haben kann.

 

 

Trump und Iran: Zeit, Puts zu kaufen

Die USA haben angeblich einen Cyberangriff auf den Iran ausgeführt und kündigen weitere Sanktionen an. Ich gehe immer noch davon aus, dass Trump selbst keinen Krieg mit dem Iran will, anders als Pompeo, Bolton und weitere maßgebliche Figuren, die üblichen verdächtigen Neocons und Israel-Firsters sowie Teilen der Medien. Mit der aktuellen Strategie wird jedoch auf einen Krieg zugesteuert, denn die Iraner werden nicht nachgeben. Es ist eine Frage der Ehre. Sie werden einfach nicht nachgeben. Offenbar aber bestärken Trumps Berater ihn in dem Glauben, es sei nur eine Frage des Drucks. Sie sind Lügner oder Dummköpfe. Wer aber den Informationsfluss zu Trump in der Frage kontrolliert, kontrolliert letztlich die Entwicklung des Konflikts, auch wenn Trump nicht jede Aktion mitmacht. Mittlerweile kann auch Trump nicht mehr nachgeben. Bilateral kann das nicht mehr gelöst werden; es bräuchte eine Initiative von dritter Seite, um zunächst einmal direkte Gespräche zwischen Trump und Khamenei zu vermitteln. So, wie ich Trump einschätze, wäre darin durchaus etwas zu holen. Allerdings kamen von Khamenei nach den Treffen mit Abe und Maas keine Töne, die eine entsprechende Bereitschaft signalisiert haben. Vielleicht versucht Merkel ja noch einmal ihr Glück mit einer Einladung an beide Seiten? Ich habe aber wenig Hoffnung, dass es funktioniert. Ein Krieg wird also immer wahrscheinlicher.

Der iranische Außenminister Javad Zarif hat übrigens Karten und Charts getwittert, mit denen belegt werden soll, dass sich die abgeschossene Drohne im iranischen Luftraum befunden haben soll. Ich gehe davon aus, dass er damit auch Recht hat und halte den Flug der Drohne für eine gezielte Provokation. Erstaunlich ist, dass die amerikanische Presse die Frage kaum problematisiert und die Verlautbarungen ihrer eigenen Regierung implizit als zutreffend zu akzeptieren scheint.

Moonofalabama.org ist eine Website, die ich nicht müde werde zu empfehlen, auch wenn man sie wie jede andere Quelle mit der nötigen Vorsicht und geistigen Selbständigkeit lesen muss. Dort wurde am vergangenen Donnerstag ein hübsches Beispiel dafür diskutiert, wie die amerikanische Presse von Vertretern von Regierung und Militär getäuscht wird. Auf einer Pressekonferenz des Pentagon zum Abschuss der Drohne sagte General Guastella, die Drohne sei im internationalen Luftraum „34 Kilometer vom nächsten Punkt der Iranischen Küste“ unterwegs gewesen. Er sagt nicht „34 Kilometer außerhalb des iranischen Luftraums“ oder dergleichen, das war ja auch wohl nachweislich nicht der Fall. Wenn allerdings eine Drohne in 20 km Höhe fliegt, 34 km vom nächsten Küstenpunkt entfernt ist und sich der Luftraum Irans bis 22,2 km (12 Seemeilen) von diesem Punkt erstreckt, ist die Drohne nur 5,28 km ((34^2 – 20^2)^(1/2) – 22,2 = 5,28, Erdkrümmung vernachlässigt) außerhalb des iranischen Luftraums unterwegs. Die Aussage ist also schon von vornherein unredlich formuliert und man darf davon ausgehen, dass das nicht der einzige Täuschungsversuch dabei ist. Ich würde mir wünschen, man müsste für eine solche kritische Betrachtung nicht auf randständige Websites ausweichen, sondern könnte sie in der etablierten Presse finden.

Nachträge 23.6.2019:

Alles, was die Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPSschreiben, sollte man ernst nehmen. Hier äußern sie sich zu Pompeo und dem Iran, mit einigen interessanten Anmerkungen zu Russiagate.

Nicholas Kristof ist ein altgedienter Kolumnist der New York Times. Meist nervt er mich, aber in seiner Warnung vor einer Eskalation im Irankonflikt bin ich mit ihm natürlich einer Meinung. Auffällig ist aber das Folgende. Kristof ist ein Linksliberaler der besonders seifigen Sorte und sonst natürlich höchst kritisch in allem, was Trump betrifft. Auch in dieser Kolumne hält er sich nicht zurück, vermeidet aber letztlich, das Offenkundige anzusprechen: die bisherige Eskalation ist allein eine Folge amerikanischen Handelns, auf das der Iran reagiert. Auch, wenn der Iran überreagieren sollte und danebengreift – die Hauptverantwortlichkeit liegt bei den USA, die diese unnötige Konfrontation durch illegitime Sanktionen und Provokationen herbeigeführt haben. Seltsam, dass Kristof die grundlegende Prämisse, Iran stelle eine akute Gefahr da und man müsse das Land zu diesem oder jenem zwingen, letztlich nicht in Frage stellt.

 

Iran und die jüngsten Vorfälle

Die Angriffe auf Tanker im Golf von Oman können durchaus eine Aktion von Gegnern des Iran sein, um die weitere Aggressionen gegen das Land zu rechtfertigen. Allerdings halte ich es ebenso für möglich, dass sie tatsächlich eine iranische Warnung an den Rest der Welt darstellen. Trump hat Iran den totalen Wirtschaftskrieg erklärt und Europa und Japan beugen sich letztlich amerikanischem Druck. China und Russland halten sich zurück. Iran steht mit dem Rücken zur Wand; die jüngsten Äußerungen von Khamenei zeugen von erheblicher Gereiztheit und der Einschätzung, dass Verhandlungen keinen Sinn mehr haben. Da kann es sein, dass man die Zeit gekommen sieht, der Welt zu zeigen, dass man auch anders kann.

(Ich bin übrigens nicht unbedingt der Ansicht, dass der Weg sinnvoller Verhandlungen verbaut ist. Der Konflikt mit dem Iran macht m.E. aus strategischer Sicht für die USA keinen Sinn, er ist getrieben durch den Einfluss Israels und Saudi Arabiens sowie der idiotischen Hardliner in der Regierung wie John Bolton und Mike Pompeo. Ich weiß nicht, ob Trump hier aus Überzeugung handelt, ob er zu dumm oder zu schwach ist, sich gegen diese Einflüsse zu wehren, ob er auf saudisches Geld schielt oder ob er im Hinblick auf seine Wiederwahl tatsächlich auf mehr Unterstützung der amerikanischen Juden hofft. Erhebliche Teile seiner Wählerschaft, die Paleocons, die Alt-Righter und die sonstige dissident right, erwarten von ihm hier jedenfalls eine ganz andere Politik und viele meinen es damit sehr ernst. Wenn sie ihm gegenüber handeln wie die enttäuschten Bernie-Anhänger gegenüber Hillary Clinton, verliert er die nächste Wahl. Er sollte das wissen. Trump ist erratisch, er könnte sich vielleicht demnächst von Bannon und Pompeo trennen sowie eine Gelegenheit suchen, etwas Luft aus dem Konflikt zu lassen und sein Geschwätz von gestern zu ignorieren. Darin hat er mehr Freiheit als ein konventionellerer Präsident, von dem alle eine konsistente und verlässliche Linie erwarten. Eine solche Gelegenheit sollte man befördern und nicht verhindern. Aber das sind Gedanken eines Außenstehenden.)

Moonofalabama.org erwartet jedenfalls weitere Vorfälle. Könnte sein. Interessant ist ein Link in diesem Artikel, der eine mögliche strategische Neuausrichtung der iranischen Politik als Reaktion auf den amerikanischen Druck und die fehlende Unterstützung der Weltgemeinschaft diskutiert. Ich bin zu faul zum paraphrasieren, man lese selbst. Besonders bemerkenswert erscheint mir darin der Vorschlag, Iran möge letztlich wirtschaftlich autarker werden. Da gibt es sicherlich Potential, immerhin hat das Land rund 83 Mio. Einwohner und damit etwa so viele wie Deutschland oder die Türkei, dazu anscheinend gute Universitäten.

Jüngst führte mich eine Reise in den Iran und die Türkei, auch jenseits der Touristengebiete. Die Türkei hat mich beeindruckt; alles funktioniert, alles ist neu, man ist wirklich erste Welt, man produziert sehr viel im eigenen Land, man hält sich an Regeln. Auf der anderen Seite spricht außerhalb der Touristengebiete dieses jahrzehntelangen Verbündeten der USA kaum jemand auch nur ein Wort Englisch. Der Iran ist wesentlich ärmlicher, rückständiger und chaotischer, irgendetwas zwischen Zweiter und Dritter Welt, doch in diesem vergleichsweise isolierten Land sprechen viele Englisch (und ich traf sogar mehr Leute, die Deutsch sprachen, als in der Türkei), ja sogar die Straßenbeschilderung ist meist zweisprachig. Man freut sich über jeden Touristen, es gibt Sehnsucht nach einer Wiedereingliederung in die Welt. Strategisch sehe ich eigentlich keinen Grund für die USA, den Iran als Feind zu betrachten, soweit es nicht um Israel und Saudi Arabien geht.

Jedenfalls hat der Iran Bodenschätze und Wissenschaftler und eine technologische Basis. (Ich traf übrigens einen jungen Mathematiker, der in Cambridge promoviert hatte und trotz zweier Angebote für Professuren in Cambridge und Berkeley nach Teheran zurückgekehrt war und eine Stelle an der Scharif-Universität für Technologie angenommen hatte. Er wollte zuhause sein und äußerte sich lobend über iranische Universitäten.) Zu größerer wirtschaftlicher Autonomie wird es ein langer Weg, aber er ist machbar. Druck von außen hilft dem Regime, so gerne ich es ausgewechselt sähe, innen und ermöglicht so die langfristige Planung, die für dieses Ziel erforderlich ist. Mit seinen maximalen Sanktionen ermutigt Trump die Schaffung von nationalen und internationalen Strukturen außerhalb des amerikanischen Einflusses und hat in diesem Konflikt seine Karten letztlich fast ausgespielt; mehr Druck geht nur noch militärisch. Doch das könnte in einem Fiasko enden.

P.S.: Ich habe mich gefragt, was Trump als Ergebnis seiner Sanktionen eigentlich erwartet. Bolton und Netanjahu wollen wohl einfach den Krieg, und vor dem Hintergrund wäre ihr Verhalten nachvollziehbar, aber was will Trump? Ich glaube nicht, dass er selbst einen Krieg will. Doch er verlangt letztlich die mehr oder weniger vollständige Kapitulation des Iran, die er aber nicht bekommen wird. Das müsste er wissen. Was also soll geschehen? Hofft er auf eine Nummer wie mit Nordkorea, ein persönliches Treffen wie mit Kim, Händeschütteln und irgendein Abkommen, das er als Erfolg verkaufen kann und sich damit als Friedensbringer? Dazu hat er sich ein wenig weit aus dem Fenster gelehnt, wenngleich eingedenk seiner Leckmichkraft vielleicht noch nicht zu weit. Aber selbst, wenn er Bolton und Pompeo feuert, gibt es noch Israel und Saudi Arabien. Vergleichbare Faktoren gab es bei Kim nicht.

Vielleicht hat er einfach gar keinen Plan.